„Knapp daneben” von Giuseppe Culicchia

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Walter ist Anfang Zwanzig und ohne Ambitionen. Nach dem Schulabschluss hat er hat keine große Lust auf Karriere, sehr zum Leidwesen seines Vaters. Die italienische Bürokratie gönnt ihm ein faules Jahr, während dem er auf den Bescheid bezüglich Zivildienst wartet.

Student aus Langeweile

Mehr aus Langeweile als aus Neigung beginnt Walter ein Studium der Literaturwissenschaften und Philosophie. Die Abneigung gegen BWL-, Informatik- oder Jura-Studenten, zukünftige Haie mit „grauen Zweireihern und Vierundzwanzigstundenköfferchen“, führt ihn zur Wahl dieser Fachrichtungen.

Der Staat hat ein Einsehen und beruft Walter zum Zivildienst im Amt für Sinti, Roma und Nicht-EU-Bürger ein. Regiert von einem pedantischen Vorgesetzten und in Gesellschaft eines Leistungsverweigerers, der ein komfortables Auskommen mit dem Geld seiner Frau gefunden hat, schlägt Walter zwei Jahre seine Lebens tot, einzig unterbrochen durch eine kurze Phase, in der die Betreuung der Sinti und Roma vom zuständigen Stadtrat während eines Wahlkampfs pressegerecht intensiviert werden muss.

Verkäufer aus Geldmangel

Das Ende des Zivildienstes wirft Walter zurück auf den Boden der Tatsachen: Er muss essen, wohnen, Geld verdienen. Aus Mangel an Qualifikation bleibt ihm nichts anderes übrig, als einen Verkäuferjob in einer Buchhandlung anzunehmen. Walter wird zu dem, was er verachtet: Ein Gefangener in einem Glaskäfig, der an langen Arbeitstagen durch die Schaufenster sehnsüchtig auf die „freien“ Passanten schaut.

„Knapp daneben“ ist eine Art von Entwicklungsroman ohne Entwicklung, hingeworfen mit mehr oder weniger langen Tagebuchszenen in beiläufigem Tonfall. Die Eckpunkte des jungen Erwachsenenlebens werden gestreift: Frauen, Eltern, Karriere. Und zu allen diesen Punkten hält Walter Distanz und bleibt auf dem Beobachterposten. Was er will, weiß er nicht. Aber eines ist für ihn sicher: Nur nicht so werden wie die Schafe in der Herde.

Nach kurzen 136 Seiten nimmt die Geschichte ein abruptes Ende, so als ob Culicchia die Lust zum Schreiben verlassen hätte und das Manuskript dann halt in der bestehenden Länge gedruckt worden wäre. Der Schreibstil ohne erkennbaren Handlungsbogen würde es erlauben, Anekdote an Anekdote zu reihen und den Roman in jede beliebige Länge zu bringen. Das ermüdet beim Lesen, also ist die kurze Form eine gute Wahl.

Der Klappentext zitiert euphorische Kritiken aus „Brigitte“, „Max“ und dem „Spiegel“, denen der Inhalt nicht ganz gerecht wird. Einige amüsante, scharf beobachtete Szenen und Sätze mit einzigartigen Gedanken ragen aus dem ruhigen Fluss heraus. Der Rest des Romans ist angenehm zu lesen, nicht weniger und nicht mehr.


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