Ehrlich gesagt: In fremden Briefen herumzuschnüffeln hat schon seinen Reiz, mag es auch immer noch durch ein paar karge Reste von staatlicherseits zugestandener Privatsphäre gesellschaftlich verpönt sein. Und bei Kapazundern1 vom Kaliber Harry Rowohlts legt sich zusätzlich noch eine dicke Lage Sprachgenuss über die Sättigung banaler Neugier. Ein Archiv von 30.000 Seiten Korrespondenz aus knapp fünfzig Jahren hat Anna Mikula damals, 2004, zu „Der Kampf geht weiter!“ kondensiert.
„Gottes Segen und Rot Front“ nun also, der zweite Band von nicht weggeschmissenem Briefverkehr des Übersetzers und Nebenerwerbsschauspielers, setzt fort mit dem Briefverkehr aus den Jahren 2005 bis 2009.
Geschrieben wird an Verleger, Politiker, Fernsehmacher und Veranstalter, an Fans und Bittsteller. Rowohlt bedankt sich bei Gregor Gysi für „die Anwesenheit, die bei Ihnen gleichzeitig Präsenz bedeutet“ , verweigert Klaus Wowereit den „Ausbruch in prägnant Antifaschistisches am Brandenburger Tor“, weil er sich in erster Linie als Hamburger fühlt und offeriert dem irischen Botschafter ein leicht hinterlistiges Kompliment („You’ve got a fine fist for writing“, original von Michael O’Nolan). Leere Floskel gibts keine einzige auf den gut 260 Seiten, dafür sieht man seitenweise buchstäblich den Schalk hinter den whiskey-glitzernden Augen sitzen.
Ein wenig dünner ist die Auswahl der letzten fünf Jahre naturgemäß doch. Wer noch gar nichts von und über Harry Rowohlt im Bücherschrank stehen hat, sollte darum mit dem ersten Briefband „Der Kampf geht weiter!“ beginnen und als Hauptgang das extralange Interview in Buchform „In Schlucken-zwei-Spechte“ dazulegen.
„Gottes Segen“ ist ein feiner Nachschlag.
1 http://www.ostarrichi.org/wort-998-at-Kapazunder.html
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Geschrieben auf Anfrage von Dirk Hesse am 08.07.2009, 14:11 betreffend „Pisto-Sommer-Special“, veröffentlicht im Pisto-Magazin im Artikel Ich packe meinen Koffer.