Die Musikindustrie im Krieg gegen ihre Kunden

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Ein illustratives Bild, das den Inhalt des Artikels über die Musikindustrie und ihren Konflikt mit den Kunden widerspiegelt, könnten Sie sich ein Bild vorstellen, das eine Szene zeigt, in der zwei gegnerische Parteien symbolisiert werden.

Ich gebe es gerne zu: Manche meiner Vinyl-LPs habe ich geliebt: „Abbey Road“ von den Beatles, „Synchronicity“ von The Police, U2 mit „War“. Zig Male angehört. Es war später keine Frage, denselben Inhalt nochmals auf CD zu kaufen, sobald das möglich war: Die Qualität war besser, der Komfort höher. Für das Musik hören im Auto habe ich damals Cassetten mit allen meinen Lieblingsstücken aufgenommen, für die musikalische Begleitung während der Arbeit am PC alle meine CDs in MP3-Dateien gerippt. Jetzt hat meine Sammlung ihren Platz in meinem portablen MP3-Player gefunden, und im Auto werkelt ein MP3-fähiges CD-Radio.

Ich bin kein Krimineller, kein Tauschbörsensauger und halte es für gerecht, dass ich für Musik zahle und damit den Lebensunterhalt von Marketingmenschen, Studiopersonal, Medienmanagern oder Lagerarbeitern in der Musikindustrie finanziere. Selbst den der Erfindern aller Daniel-Küblböck und Tokio Hotel-Klonen vergönne ich ihren Teil vom Kuchen in der Hoffnung, dass sie lernfähig sind und was Ordentliches machen, sobald sie die nötige Reife im Leben erworben haben. Das alles ist mir mehr oder weniger recht, weil ich weiß, dass ich ein wenig zum Lohn der Künstler beitrage.

Ich mag Musik

Aber ich will mit der Musik, die ich bezahlt habe, machen, was ich will. Meine Lieferanten für Musik arbeiten gegen mich, jedes Jahr ein bisschen mehr, und ich bezahle sie dafür mit meinen Einkäufen. 2003 waren CDs noch mit einem Kopierschutz vor mir „geschützt“, der mit einem simplen Druck auf die Umschalt-/Shift-Taste umgehbar war: MediaMax CD3. Selbst die Verbreitung dieses Un-Geheimnisses wollte der Hersteller SunnComm mit Klagsdrohungen verhindern, aber das war wohl vor allem ein Symptom von ganz wenig Nachdenken. Die betroffene CD stammte aus dem Haus Sony/BMG. Spätere Kopierschutzverfahren wie CDS machten die Herstellung von MP3-Dateien aus meinen gekauften CDs schon wirklich schwer. Ich saß Stunden, entfernte mittels Nero Wave Editor das von diesem Kopierschutz eingefügte „Lagerfeuergeknister“ und kam mir dabei schön blöd vor. Rund um mich herum hörten alle ihre über KaZaa kostenfrei gestohlenen MP3-Tracks in manchmal sogar tadelloser Qualität, während ich meine Musik kaufte und dann auch noch Arbeit hineinsteckte, die trotzdem zu minderwertigen MP3-Fassungen führte.

Das Sony/BMG-Rootkit

Schneller Vorlauf ins Jahr 2005, neuer Auftritt von Sony/BMG: Mark Russinovich ist so etwas wie der Guru für die tiefsten Interna von Windows. Details über die inneren Organe von Windows oder Tools, ohne die so manches Symptom im Zusammenspiel zwischen Windows, Setupprogrammen und widrigen Umständen ungeklärt bleiben müsste, kann man auf seiner Website Sysinternals.com finden. Für mich ist Mark Russinovich ein Experte von tadellosem Ruf, sein Kenntnisreichtum ist erwiesen.

Beim Test eines seiner neuen Werkzeuge findet Mark am 31. 10. 2005 Hinweise auf eine verborgene Software auf seinem PC und schöpft Verdacht: Ein Virus? Ein Rootkit, mit dem ein Angreifer seinen PC von außen fernsteuern könnte? Seine weitere Untersuchung bringt an’s Licht: Die Software wird durch eine Audio-CD installiert und ist das derzeit von Sony/BMG in den USA verwendete Kopierschutzverfahren für CDs.

Mark weist nach, dass

  • dieses Sony/BMG Rootkit ohne seine Zustimmung auf seinem PC installiert wurde.
  • die Geschwindigkeit des PCs um zwei Prozent verringert wird, selbst wenn keine Audio-CD in das Laufwerk eingelegt ist.
  • keine Möglichkeit zur Deinstallation angeboten wird.
  • alle Dateien, deren Name mit $sys$ beginnt, mit einer „Tarnkappenfunktion“ unsichtbar gemacht werden, und damit Virenprogrammierern eine einfache Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Werke zu tarnen. Prompt tun die das auch bald darauf.
  • der PC beim händischen Löschen in einen Zustand gerät, in dem das CD-Laufwerk unbrauchbar ist.
  • eine eindeutige Kennung jeder abgespielten CD und die Adresse des PCs an einen Server von Sony übermittelt wird. Angeblich (derzeit) nur, um neue Werbebanner nachzuladen.

Trotz des negativen Echos kündigt Sony nur wenige Tage später an, diese DRM-Methode auch bald in Europa einsetzen zu wollen. Am 12. November 2005 tritt Sony wieder den Rückzug aus diesem PR-Desaster an. Daran nicht unbeteiligt ist sicher die Flut von Gerichtsklagen, die Sony/BMG in den USA erwarten.

Und wenn ich einfach nichts mehr kaufen würde?

Sony/BMG vertreibt Musik einer langen Reihe von Künstlern aus allen Genres wie Udo Jürgens, Destiny’s Child, Eurythmics oder ZZ Topunter den Labels Arista, Columbia Records, Epic Records, Ricordi, Funhouse, Jive, J Records und RCA Records. Ob man als Konsument und Musikliebhaber einfach CDs von Sony/BMG boykottieren kann und damit deren sensibelsten Punkt, die Geldbörse, trifft, ist damit fraglich.

Dann ist ja eh alles wieder gut…

Ich denke, dass trotz dieses Rückschlages eine weitere Methode nicht lange auf sich warten lassen wird, mit der Copyright-Inhaber die Kontrolle über die Verwendung von Medieninhalten ausüben werden. Gegen den Willen und unter Missachtung der Eigentumsrechte der Konsumenten. Die Vertriebsfirmen sind erwiesenermassen bereit, jeden Kunden als potentiellen Kriminellen zu betrachten und zumindest in Kauf zu nehmen, dass ihre Kunden mehr als nötig im Einsatz ihrer rechtmässig gekauften Medien eingeschränkt werden. Selbst wenn das bedeutet, dass Eigentum des Konsumenten beschädigt werden kann.

Die Unbelehrbaren

Zum Abschluss noch zwei Zitate:

„Ich glaube, die meisten Menschen wissen gar nicht, was ein Rootkit ist, warum sollen sie sich also darum kümmern?“

— Thomas Hesse, Präsident Global Digital Business-Abteilung bei Sony BMG

„Wenn ein Nutzer eines mit dem Kopierschutz ausgestatteten Systems versucht, MP3s einer Audio-CD zu erstellen, dann fügt die Software nach dem Zufallsprinzip Lärm in die Aufnahmen ein. Laut CA passiert dies auch bei CDs, die gar nicht mit dem XCP-Kopierschutz ausgestattet sind.“

— Netzwelt
Nett, nicht?

Schade um eine Marke, die in den 80ern mit dem portablen Cassettenplayer großartig von den privaten Kopien copyright-geschützter Musik profitiert hat.


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